Nationalpark Gesäuse wird zum Freilandlabor

16. Juli 2024

Der 12.300 Hektar umfassende Nationalpark Gesäuse birgt eine umfangreiche Fauna und Flora. Für Forschende der Universität Graz wird das Gesäuse durch eine Kooperation mit dem Nationalpark nun zum Freilandlabor in Sachen Biodiversität, Karstquellen sowie des Klima- und Waldmonitorings.

Blick in den Nationalpark Gesäuse.

Das Rauschen der Enns, die sich auf einer rund zehn Kilometer langen Fließstrecke in das Gebirge eingegraben und ein Durchbruchstal mit bis zu 1.800 Meter hohen, schroffen Felswänden geschaffen hat, gab der gesamten Region den Namen – Gesäuse. Im Oktober 2002 wurde es mit seinen vielfältigen Lebensräumen zum Nationalpark erklärt und ist seither Österreichs drittgrößter und jüngster Nationalpark.

Mönche des Stiftes Admont begannen zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Natur im Gesäuse zu dokumentieren. Bei den Biologinnen und Biologen, Forschenden des Wegener Centers, Geologinnen und Geografen der Universität Graz stehen heute der Schutz der Natur angesichts des Klimawandels und die Erhaltung des Gebietes für kommende Generationen an vorderster Stelle. Ihre seit Jahren lose Zusammenarbeit mit der Nationalparkverwaltung erfährt nun eine Vertiefung.

Forschung zum Schutz der Natur

Jüngst wurde die „Kooperation zur wissenschaftlichen Begleitung der Entwicklung des Nationalparks und der Erforschung des Wandels alpiner Ökosysteme“ für die Dauer von vorerst fünf Jahren unterzeichnet. „Es ist sehr schön zu sehen, wie lebensnahe hier die Verbindung zwischen Wissenschaft, Natur und Gesellschaft ist“, brachte Rektor Peter Riedler seine Freude über die Zusammenarbeit bei einem Presserundgang zum Ausdruck.

„Wir können das Gebiet und Infrastruktur zur Verfügung stellen, die Forschung und Lehrkompetenz liegt bei der Universität“, betonte Herbert Wölger, Geschäftsführer der Nationalparkverwaltung, dem es um ökologische Langzeitforschung, die den Lebensraum und die darin stattfindenden Veränderungen im Blick hat, geht. Die Forschung soll die Grundlage für Naturschutz und Management im Nationalpark bieten und helfen Problemfelder aufzudecken und Lösungsvorschläge anzubieten.

Auswirkungen auf das Grundwasser

Die Grazer Expertinnen und Experten vom Institut für Erdwissenschaften untersuchen etwa, wie sich verändernde Umweltbedingungen auf die Neubildung von Grundwasser auswirken – zum Beispiel bei der Etzbachquelle südöstlich von Johnsbach. Gerfried Winkler und sein Team haben die Wassermenge und die physikalisch-chemische Zusammensetzung im Fokus und messen u.a. wie viel Wasser pro Sekunde die Quelle hervorbringt.

Bei der Etzbachquelle kann die Schüttung enorm unterschiedlich sein: Zwischen 40 und 650 Litern pro Sekunde, was mit dem Niederschlag und der Schneeschmelze zusammenhängt, wie Winkler erklärte. Wie bisherige Messreihen zeigen, hat die Schüttung speziell in den Wintermonaten zugenommen: „Früher gab es eine durchgehende Schneedecke, die durch langsames Abschmelzen wieder am Wasserkreislauf teilnimmt, heute gibt es immer wieder Wärmeergüsse dazwischen. Den langen Leerlauf gibt es nicht mehr“, beschrieb Winkler die sich verändernde Dynamik.

Waldforschung aus der Luft

Mit vielen Blicken von oben – mit Überflügen per Drohne, Flugzeug und Satellit – erhebt Manuela Hirschmugl (Institut für Raumforschung), wie es um den Waldbestand im Nationalpark steht. „Wir schauen uns an, wie sich der Wald über die Zeit verändert“, brachte es die Fernerkundungsspezialistin auf den Punkt. Seit Jahren werden Luftbilder der Region gemacht, doch die Datenverarbeitung war bisher sehr arbeits- und zeitintensiv.

Mit ihrem von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG unterstützten Projekt „Habitat Alp 2.0“ will sie Luftbildauswertungen seit den 1950er-Jahren mit aktuellen Laser-Scanning-Aufnahmen und Satellitendaten verknüpfen, um sehr genaue Einblicke auch in den vertikalen Aufbau des Waldes zu gewinnen. Die Zusammenführung der Informationen soll mithilfe von künstlicher Intelligenz automatisiert erfolgen, was die detaillierte Veränderungsanalyse beschleunigen soll.

Alpine Langzeit-Klimamessung

An 19 Stationen in der Gesäuseregion vermisst das Wegener Center der Universität Graz wie sich das alpine Klima verändert. Alle zehn Minuten werden Daten zu Wind, Temperatur, Luftfeuchte und -druck, Schneehöhe und Niederschlag gemessen, wie Jürgen Fuchsberger vom Wegener Center erklärte. „Um den Trend gut zu verstehen, brauchen wir Messreihen von 20 bis 30 Jahren“, so Fuchsberger.

Verknüpfungen mit Daten von länger bestehenden Messstationen in der Region spiegelten bereits die Klimaerwärmung wider: „Seit den 1960er-Jahren ist die mittlere Temperatur im gesamten Alpenraum um rund drei Grad gestiegen – bei gleichbleibender Gesamtniederschlagsmenge im Sommer, was die Dürregefahr erhöht“, wie der Experte betonte. Wie sich die rasante Entwicklung auf das Ökosystem auswirkt, soll im Zuge des europäischen Netzwerkes für Langzeitökosystemforschung eLTER untersuch werden.

Insektenmonitoring auf der Alm


Ein besseres Verständnis der biologischen Vielfalt bzw. des Artenschwunds, erhofft sich Biologe Christian Sturmbauer durch das Projekt „GeMonA+“. Darin wird auf der Kölblalm ein Monitoring-Verfahren für fliegende Insekten getestet. „Traditionelle Artenbestimmung ist sehr aufwendig, wir greifen zu einer schnellen, molekularbiologischen Methode“, betonte Sturmbauer. Dazu müssen die Insekten zuerst mit einer am Hang stehenden Falle gefangen werden. Aus dem Insektenmix wird dann ihre DNA gewonnen.

Das DNA-Barcoding – die Bestimmung von Organismen anhand von kurzen Erbgutabschnitten – eröffnet eine effiziente Möglichkeit, Arten nachzuweisen. Dafür werden bestimmte Erbgutabschnitte ausgelesen, anhand derer sich Arten unterscheiden lassen. Um die Organismen einer unbekannten Probe zu identifizieren, werden die ausgelesenen DNA-Barcodes mit den Sequenzen in einer Referenzdatenbank vergleichen, wie Sturmbauer schilderte.

Umwelt-DNA-Untersuchungen

Zugleich suchen die Forschenden genetische Spuren, die Blüten und Pflanzenbesucher auf Wiesenpflanzen hinterlassen haben. Man spricht von Umwelt-DNA-Untersuchungen, beziehungsweise eDNA-Untersuchungen. „Ein effizientes und informatives Biodiversitätsmonitoring zur frühzeitigen Erkennung von Änderungen der Artenvielfalt ist essenziell, um dem fortschreitenden Artenrückgang entgegenwirken und die Wirksamkeit von gesetzten Maßnahmen evaluieren zu können“, betonte Sturmbauer.

Im Nationalpark stellen vier Personen den Betrieb von Messeinrichtungen sicher und leisten logistische Unterstützung. Die Forschungsergebnisse aus dem Gebiet werden gemeinsam mit den wertvollen Rohdaten von der Nationalparkverwaltung gespeichert und stehen auch künftigen Generationen von Forschenden zur Verfügung.

Quelle

Forschung: Nationalpark Gesäuse wird zum Freilandlabor - science.ORF.at