Alpine Pflanzen: Langlebig und gefährdet
Ährige Edelraute, Gletscher-Hahnenfuss, Steinbrech: Der Lebensraum solch alpentypischer Pflanzen schrumpft mit den Gletschern, wie eine aktuelle Untersuchung belegt. Neben dem Klimawandel setzt unter anderem auch Stickstoffeintrag den Bergpflanzen schwer zu.
Was passiert mit der Pflanzenwelt in hochalpinen Lagen, wenn die letzten Gletscher abschmelzen? Dieser Frage ging eine Untersuchung in vier Gletschergebieten der italienischen Alpen nach, deren Ergebnisse Ende Januar 2021 im Fachjournal Frontiers in Ecology and Evolution erschienen. Ihr zufolge würden mit dem Verschwinden der Gletscher bis zu 22 Prozent der 117 untersuchten Pflanzenarten aussterben.
Wo zurückweichende Gletscher Boden freigeben, siedeln sich zunächst Pionierpflanzen an, was kurzfristig sogar zu mehr Artenvielfalt führe, wie Studienkoordinator Gianalberto Losapio von der Stanford University/USA erklärt. «Problematisch wird es, wenn sich die Gletscher immer weiter zurückziehen, weil die Pflanzen diese Verfolgungsjagd nicht unendlich mitmachen können.» Losapios Team beobachtete dabei auch eine zunehmende Konkurrenzsituation: «Sobald der Gletscher verschwindet, verdrängen aggressivere Arten die Pionierpflanzen.» Das und die verlorenen Lebensräume am Fusse der Gletscher verursachen vermutlich diesen Biodiversitätsverlust.
Besonders gefährdet sind Pflanzen wie die Ährige Edelraute, der Gletscher-Hahnenfuss oder einige Steinbrech-Arten. An der Studie beteiligten sich die Universität Insubria, die Universität Mailand und das Museum of Science in Trento.
Stickstoff als zusätzliches Problem
Weshalb hochalpine Pflanzenarten zeitverzögert auf den Klimawandel reagieren, hat auch die Ökologin Sabine Rumpf 2019 für eine Studie der Universität Wien und der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL untersucht. Einer der Gründe liegt darin, dass alpine Pflanzen langlebig sind und auch vor Ort bleiben, wenn die Umweltbedingungen nicht mehr passen. «Wir nennen das Aussterbeschuld. Wir wissen, dass die Pflanze vor Ort früher oder später sterben wird, aber sie ist immer noch da», so Rumpf, die nun an der Universität Lausanne/CH forscht. Das Verschwinden lokaler Vorkommen bedeute zwar nicht, dass diese Arten komplett aussterben, aber ohne Gletscher sei «das Habitat, in denen diese Arten vorkommen können, einfach sehr reduziert». Neben den langfristigen Auswirkungen des Klimawandels warnt die Forscherin vor direkten Effekten wie dem Eintrag von Stickstoff aus Fabriken, intensiver Landwirtschaft oder dem Autoverkehr. «Was wir kilometerweit entfernt in den Tieflagen tun, hat grosse Auswirkungen in den Bergen, denn dort kommt der Stickstoff durch die Atmosphäre wieder runter». Bergpflanzen kommen normalerweise sehr schlecht mit Stickstoff zurecht, wie Rumpf erklärt. «Das heisst, wir selektieren für Pflanzen aus den tieferen Lagen, die mehr Territorium erobern gegenüber den alpinen Pflanzen.»
Quellen und weiterführende Informationen
www.wienerzeitung.at/nachrichten/wissen/klima/2091250-Wie-die-Blumen-der-Alpen-mit-den-Gletschern-verschwinden.html (de), www.frontiersin.org/articles/10.3389/fevo.2020.616562/full (en), www.nature.com/articles/s41467-019-12343-x (en), www.touringclub.it/notizie-di-viaggio/intervista-a-gianalberto-losapio-con-il-ritiro-dei-ghiacciai-un-quarto-delle/immagine/7/the-consequences-of-glacier-retreat-are-uneven-between-plant-species (it), www.greenreport.it/news/aree-protette-e-biodiversita/quasi-un-quarto-delle-piante-alpine-e-a-rischio-estinzione-per-la-scomparsa-dei-ghiacciai/#prettyPhoto (it)