BirdLife Österreich nominiert Grauammer zum Vogel des Jahres 2024

16. Oktober 2023

Brachen weg, Vogel weg?

Neun von zehn Grauammern sind in den letzten 25 Jahren verschwunden. Der Agrarlandvogel steht vor dem Aussterben. Intensive Landwirtschaft, fehlende Brachen und Feldraine sowie der massive Einsatz von Pestiziden verursachen diese Negativentwicklung. Daher kürt die Vogelschutzorganisation BirdLife Österreich die Grauammer (Emberiza calandra) zum Vogel des Jahres 2024.

Grauammer auf einem Strauch sitzend.

Der Brutbestand der Grauammer erlitt in den letzten 25 Jahren einen massiven Niedergang: Von 1998 bis 2022 brach der Bestandsindex der unauffällig grau und braun gestrichelten Ammer um 95 Prozent ein (Quelle: Brutvogelmonitoring 2022). Das ist der stärkste Rückgang aller im Monitoring ausgewerteten Vogelarten. Der aktuelle Brutbestand dürfte sich auf weniger als 500 Reviere belaufen, weiß Michael Dvorak, wissenschaftlicher Mitarbeiter von BirdLife Österreich: „Möglichweise liegt er sogar deutlich unter diesem Wert!“

Verbreitungsinseln innerhalb Österreichs

Als Brutvogel der pannonischen Klimaregion brütet die Grauammer in kleinen Verbreitungsinseln im östlichen Weinviertel (NÖ), im Marchfeld (NÖ), auf der Parndorfer Platte (Burgenland) und im Neusiedler See-Gebiet (Burgenland). Das österreichweit bedeutendste Brutgebiet ist der Hanság (Burgenland): 2022 wurden hier 50 Reviere kartiert. Abseits dieser Gebiete ist die Grauammer im gesamten Bundesgebiet bis auf einzelne, kleine Reliktvorkommen verschwunden.

Ursache und Wirkung

Dieser massive Bestandseinbruch korreliert signifikant - sowohl in Österreich als auch in anderen Teilen Mitteleuropas - mit der Intensität der landwirtschaftlichen Nutzung, die in zahlreichen Studien als Hauptfaktor für die Abnahme von Agrarlandvogelarten identifiziert wurde. Die artenreichen Brachflächen nehmen hierbei über das gesamte Jahr gesehen eine positive Schlüsselposition als Nahrungsquelle und Niststandort ein. „Als ehemaliger Charaktervogel der offenen, extensiven Agrarlandschaft benötigt die Grauammer einen gewissen Anteil an ungenutzten Flächen. Solche Brach- oder Ruderalflächen sollten zumindest zehn Prozent der Fläche ausmachen, damit sich eine lebensfähige Grauammer-Population halten kann. Sind diese Brachen weg, ist auch die Grauammer weg!“, stellt Dvorak klar. 

Der Erhalt jener temporär aus der wirtschaftlichen Nutzung entnommen Flächen sowie der vollständig unbewirtschafteten Feldraine, Grabenränder oder Grundstücksgrenzen könnte das Aussterben des Jahresvogels 2024 noch verhindern.

Rückblick und Hoffnungsschimmer

„Es zeigt sich, dass die Grauammer in den Perioden mit höheren, bis zu zehnprozentigen EUweiten Stilllegungsquoten, wie es bis Ende der 1990er-Jahre der Fall war, sehr viel höhere Populationsdichten erreichte“, so der Ornithologe. Erfreulicherweise nehmen die Brachen auch durch Fördermaßnahmen des neuen Österreichischen Agrarumweltprogramms wieder etwas zu. „Diesen Ansatz, mehr Naturschutzflächen zu beantragen, gilt es auszubauen, damit sich der Bestand der heimischen Feld- und Wiesenvögel in den kommenden Jahren positiv entwickeln kann“, so Dvorak und weiter: „Es geht um das Überleben der Grauammer, die kurz vor dem Aussterben steht und um alle anderen Arten, die ebenso in Bedrängnis sind! Wirksame Maßnahmen zur Wiederherstellung artenreicher Naturräume sind unumgänglich!“, plädiert Michael Dvorak von BirdLife Österreich

STECKBRIEF: Grauammer (Emberiza calandra)

Verbreitung und Lebensraum

Das Verbreitungsgebiet der Grauammer liegt fast zur Gänze in der Westpaläarktis (Europa, Nordafrika, nördliche und zentrale Teile der Arabischen Halbinsel sowie Teile des gemäßigten Asiens, ungefähr bis zum Ural). Als Lebensraum benötigt sie offene Kulturlandschaften, die mit blütenreichen Brachen und kleinen Gehölzen, Einzelbüschen und Einzelbäumen durchsetzt sind. Grauammern brauchen in ihrem Revier niedrig und schütter bewachsenen Flächen zur Nahrungssuche mit einem reichen Angebot an Gras- und Kräutersamen sowie Insekten. Das Nest wird am Boden in dichterer krautiger Vegetation oder unter niedrigem Gebüsch gebaut. Essenziell ist das Vorhandensein einzelner höherer Bäume und Büsche, die als Singwarten dienen.

Gefährdungsstatus

Stark gefährdet

Ampelliste : Rot

Zugverhalten

Je nach Population Teil- oder Kurzstreckenzieher. Der Abzug erfolgt Ende September bis Ende Oktober in das Überwinterungsgebiet, das südlich und westlich nur wenig über das Brutareal hinausreicht. Kennzeichen Ammern sind wie Finken durch ihre kegelförmigen Schnäbel gekennzeichnet, die sie als überwiegende Körnerfresser ausweisen. Die Grauammer ist die größte heimische Ammer, trägt jedoch von allen Arten die unauffälligste Färbung. Sie ist oberseits grau und braun gestrichelt, unterseits hell beige gefärbt mit dunkleren Stricheln. Markant ist ihr kräftiger gelbrosa Schnabel und eine großköpfige Gestalt. Die Geschlechter sind gleich gefärbt.

Verwechslungsgefahr

Die Männchen der anderen heimischen Ammernarten sind leicht von der Grauammer zu unterscheiden, doch die schlicht gefärbten Weibchen von Gold- und Rohrammer können der Grauammer sehr ähnlich sehen. Goldammern zeigen aber immer zumindest schwache Gelbtöne im Gefieder, Rohrammern ein kontrastreicher gezeichnetes Gesicht und eine deutliche braune Streifung auf der Oberseite. Zudem ist der Schnabel der Grauammer auffallend kräftig. Feldlerchen, die einen ähnlichen Lebensraum wie die Grauammer bewohnen und ihr auf Grund der unauffällig graubraun gestrichelten Zeichnung oberflächlich ähneln, haben eine andere Gestalt und einen schlanken Schnabel.

Stimme

Der Gesang der Grauammer ist charakteristisch und besteht aus einer sich beschleunigenden Folge heller Töne. Sie ruft metallisch "tsritt" oder auch kurz klickend "bitt" oder "bt" zu schnellen, elektrisierten Folgen aneinandergereiht. Einst nannte man die Grauammer in Wien volkstümlich lautmalerisch „Prassler“, neuzeitlich kennt man sie unter dem plakativen Namen „Schlüsselbundvogel“

Nahrung

Verschiedene Sämereien, unter anderem auch Getreidekörner, vor allem im Sommerhalbjahr auch größere Anteile von Insekten und Spinnen stehen auf dem Speiseplan der Grauammer. Die Jungvögel werden, wie bei vielen anderen Arten auch, überwiegend mit Insekten und Spinnen gefüttert.

Verhalten

Im Winterhalbjahr gilt die Grauammer gilt als geselliger Vogel, der oft in Gruppen zu beobachten ist. Zur Brutzeit verteidigen die Männchen jedoch unermüdlich singend ihr Revier und benutzen dafür erhöhte Singwarten wie Büsche, Einzelbäume aber auch auf Stromleitungen und Zäunen.

Brutbiologie

Grauammer-Männchen sind zur Brutzeit streng territorial. Zwischen Männchen und Weibchen besteht keine dauerhafte Paarbindung, sodass die Anzahl der Weibchen, die in einem Revier brüten, schwankt. Viele jüngere Männchen bleiben jedoch unverpaart. So kann nur bedingt von der Anzahl der Reviere auf die Anzahl der Bruten geschlossen werden. Die Männchen beteiligen sich nicht am Nestbau und nur selten an der Jungenaufzucht. Die Bedeutung ihres Gesanges ähnelt einer Alarmanlage, denn das versteckt brütende Weibchen wird akustisch auffallend gewarnt.

Kontakt

Dr. Susanne Schreiner
Pressesprecherin BirdLife Österreich Mobil: +43 (0) 699 181 555 65 susanne.schreiner@birdlife.at www.birdlife.at 

Quelle

Pressemitteilung BirdLife Österreich vom 10.10.2023